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Interview mit einem Scrum Master

Beitrag von Violetta Meyer

Gründerin innohuman & Organisationsentwicklerin

Mehr zur Person

 

Wie kann man Scrum in einem produzierenden Unternehmen umsetzen? Was funktioniert gut? Welche Tipps und Fallstricke gibt es zu beachten?

 

Darüber habe ich mit dem Scrum Master Lukas Metzenroth gesprochen, der vom ersten Tag der Einführung von Scrum bei der Firma Herding GmbH Filtertechnik mit im Boot war. Die Herding GmbH Filtertechnik aus Amberg ist Hersteller von Filtermedien, Entstaubungsanlagen und Filteranlagen für die Industrie und beschäftigt knapp 500 Mitarbeiter. 

Interview Scrum Master

Aktuelle Projekte

Lukas, vielen Dank, dass Du dir die Zeit nimmst für das Interview. Erzähl uns einfach mal, was Du gerade an Scrum-

Projekten betreust.

 

Wir haben Mitte letzten Jahren angefangen, verstärkt Scrum zu betreiben. Das fängt mit Projekten aus der technischen Produktentwicklung an und geht bis hin zu Optimierung von Prozessabläufen. In einem Projekt, bei dem ich Scrum Master war, haben wir den Modus aber mittlerweile wieder gewechselt. Die Komplexität in dem Projekt ist gesunken, so dass uns Scrum zu mächtig war. Hier nutzen wir jetzt nur gewisse Teile von Scrum, z. B. das Kanban-Board. Uns ist immer wichtig, dass wir durch die Anwendung von irgendwelchen Tools oder Rahmenwerken einen konkreten Mehrwert erzielen. Scrum einfach nur anzuwenden, um des Lehrbuchs willen, macht wenig Sinn. Das ist etwas, was wir gelernt haben. Wir schnappen uns das, was für uns am Besten passt.

 

Kannst Du uns ein Projekt noch etwas konkreter vorstellen?

 

Ja, was sehr gut läuft ist aktuell ein großangelegtes Projekt, was sich mit der Optimierung eines kompletten Wertstroms beschäftigt. Wir haben uns vorgenommen, von vorne von der Produktion von Stahlbauteilen bis zum Versand den kompletten Wertstrom zu überarbeiten. Hier wissen wir nicht genau, was auf uns zukommt. Wir wissen ungefähr die Richtung, aber wie es genau abläuft können wir am Anfang noch gar nicht sagen. Deswegen haben wir hier Scrum gewählt. Aktuell sind wir im elften Sprint. Das Projekt läuft extrem gut. Im Vergleich zum regulären Wasserfall-Projektmanagement sind wir hier deutlich schneller und effizienter.

Daily Meetings

Es gibt ja bei Scrum die Daily Meetings. Wie habt Ihr Euch da commited?

 

Das ist von Team zu Team abhängig. In dem einen Team, in dem ich in Vollzeit mit drin bin, machen wir Dailys. Dadurch bringen wir Geschwindigkeit rein. Wir haben sogar gemerkt, dass wir selbst dafür zu schnell waren. Wir haben uns dann teilweise zwei- oder dreimal am Tag kurz abgestimmt, weil einfach gerade soviel passiert. Wir haben an mehreren User Storys gleichzeitig gearbeitet und haben gemerkt, dass wir die Anzahl der Dailys erhöhen müssen. Das waren zwar dann immer nur fünf Minuten, aber es war notwendig für das Team und total sinnvoll.

In anderen Teams, in denen die Leute nur nebenbei daran arbeiten kam es dann schon vor, dass wir Dailys hatten, wo einfach nichts passiert ist. Deswegen haben wir dann auf Weeklys umgestellt. Das ist noch nicht optimal, aber aktuell die praktikabelste Lösung.

 

Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, je öfter man sich trifft. Das ist besser für die Geschwindigkeit und für das Team. Das macht einen deutlich spürbaren Unterschied zu anderen Projekten. Diese Regelmäßigkeit, auch wenn es nur zwei Minuten sind, schaffen Fokus.

Kollaborationstools

Du hattest mir mal von verschiedenen Kollaborationstools erzählt, die Ihr nutzt? Womit arbeitet Ihr aktuell?

 

Wir haben verschiedene Sachen ausprobiert. Wir hatten physische Boards, wir hatten den Microsoft Planner. Dann haben wir in mehreren Projekten Mural und Miro ausprobiert. Schlussendlich hat sich in der Organisation Miro durchgesetzt. Das hat den Vorteil, dass Du die Boards total flexibel gestalten kannst. Du kannst Post Its kleben und parallel daran arbeiten. Es ersetzt zwar kein physisches Board, aber es kommt recht nahe heran.

 

Was wir gemerkt haben ist, dass unterschiedliche Teams unterschiedliche Anforderungen an das Board haben. Jedes Team gestaltet sich das Board anders. Teilweise wird es als Arbeitsfläche genutzt. Wieder Andere bauen sich die Spalten im Board anders auf. Manche machen es ein bisschen feingliedriger, manche eher grober. Da hat man dann einfach freie Hand, sich das Board so zu gestalten wie man möchte. Ich glaube, bei uns schaut kein Scrum Board exakt so aus, wie das andere. 

Einführung von Scrum und Nutzen

Vor der Einführung von Scrum hattet Ihr ja eine Schulung, soweit ich mich entsinnen kann? Wer wurde da geschult?

 

Wir glauben, dass es hilfreich sein kann, in bestimmten Bereichen mit agilen Denkansätzen zu arbeiten. Wir hatten am Anfang eine Einführung, zu der wir die Leute, die viel mit Projektmanagement zu tun haben, eingeladen haben. Einfach um sie heran zu führen. Da ging es darum, einmal vorzustellen, was Scrum eigentlich ist und was die agilen Werte und Prinzipien sind. Da haben wir dann auch schon Ideen gesammelt, was von unserer Projektwelt mit Scrum gut bearbeitet werden könnte. Das haben wir mit der Stacy-Matrix eingeordnet, wo es wirklich Sinn macht. Ich glaube, Scrum zu machen, damit man Scrum macht, ist Bullshit. Das funktioniert nicht. Aber da wo gewisse Unsicherheiten drin sind und gewisse Komplexitäten, da bewährt sich Scrum auf jeden Fall.

Mittlerweile war bereits ein zweiter Schwung an Mitarbeitern auf Schulung und es gibt jetzt mehrere Scrum Master bei uns. So langsam ist es durchaus gelebte Praxis bei uns. Das ist nichts Ungewöhnliches mehr.

Austausch der Scrum Master untereinander

Habt Ihr dann als Scrum Master untereinander die Möglichkeit, Euch auszutauschen?

 

 Ja, diese Idee hatten wir auch. Am Anfang war es eher eine Kaffeerunde, wo wir uns getroffen haben. Das war zwar ganz nett. Aber für uns hat es sich als viel hilfreicher herausgestellt, dass wir uns als Scrum Master alle zwei Wochen treffen und immer ein akutes Problem besprechen, welches gerade jemand in einem Team hat. Dann bekommt man einfach die anderen Perspektiven mit rein. Oder wenn es kein akutes Thema gibt, dann schnappen wir uns den Scrum Guide und schauen, welches Thema da interessant sein könnte und sprechen darüber. Da gehen wir die Theorie durch und gleichen es ab mit unserer Praxiserfahrung. Dabei lernen wir jedes Mal etwas.

Herausforderungen

Was sind für Dich deine persönlichen Herausforderungen als Scrum Master?

 

Eine große Herausforderung als Scrum Master ist für mich, wirklich in dieser Coach-Rolle zu bleiben. Es ist relativ schwierig, nicht ins Tun mit einzusteigen. Du hast dieses Entwicklungsteam, was voll drin ist im Thema. Man will da ja irgendwie unterstützen und mithelfen. Und trotzdem ist man als Coach hinter der Spielfeldlinie. Ein Fußballtrainer rennt ja auch nicht aufs Fußballfeld. Die Spieler sollen spielen und er nicht. Das ist gar nicht so einfach. Das ist gerade am Anfang nicht trivial, den richtigen Modus zu finden. Man muss da einfach seine Lösung finden. 

Highlights

Was macht Dir besonders Freude in der Aufgabe, was sind Deine Highlights?

 

Was wirklich spannend ist, finde ich, dass man durch dieses getaktete Arbeiten relativ schnell Ergebnisse sieht. Im Vergleich zum klassischen Projektmanagement kann man durch dieses Experimentieren und das iterative arbeiten, wesentlich schneller Lösungen vorweisen. Diese sind zwar noch nicht perfekt, aber man hat schon einmal etwas. Man arbeitet fast wie beim Pareto-Prinzip. Lieber 80 Prozent schnell erreichen und die restlichen 20 Prozent ergeben sich dann schon. Da hatten wir heute gerade einen Termin für das Backlog Refinement in einem Projekt, wo wir uns bewusst entschieden haben, nicht alles perfekt zu machen, weil wir sonst zwei Monate dafür bräuchten. Das ist schon eine Stärke von Scrum.

Reaktionen in der Organisation

Gibt es denn auch Mitarbeiter, die Euch ein bisschen komisch anschauen, was Ihr so macht? Wie sind da die Reaktionen?

 

Gemischt würde ich sagen. Es ist keiner irgendwie verschlossen gegenüber neuen Methoden. Was sich bei uns bewährt hat, ist immer den Nutzen in den Vordergrund zu stellen und durch Resultate zu beweisen. Wir haben ja diverse Teams, wo es wirklich gut läuft. Natürlich gibt es wie bei jedem Change-Projekt gewissen Widerstand in der Organisation, das ist aber gar nicht schlimm. Im Gegenteil, ich glaube, das gehört sogar dazu. Wenn man sich ein bisschen an der Kultur reibt, hilft es auch dabei, den eigenen Weg zu finden.

Buchempfehlung

Eine letzte Frage: Hast Du eine Buchempfehlung für uns?

 

Den Klassiker, „The Scrum Revolution“ von Jeff Sutherland, einem der Mitbegründer von Scrum. Das ist schon cool, man merkt einfach, wo es herkommt. Ich glaube, es ist lohnenswert. Ich selber habe es als Hörbuch gehört. Man lernt in dem Buch, wie Scrum entstanden ist und was die Hintergedanken waren.

Noch ein letzter Tipp

Hast Du noch etwas, was Du gerne noch ergänzen möchtest?

 

Ich glaube, am Ende muss man es einfach ausprobieren. Durch die vorgegebenen Schleifen wie den Sprint Review und die Retrospektive hinterfragt man sich immer wieder selbst. Bei so vielen Themen kann man es am Anfang gar nicht genau wissen, weil es eine gewisse Komplexität hat. Auch bei der Einführung und Anwendung von Scrum muss man es einfach ausprobieren, dann wächst man da schon rein.

 

Lieber Lukas, herzlichen Dank für dieses spannende und offene Interview. Ich freue mich, dass ich einmal einen Blick hinter die Kulissen von Scrum bei Herding werfen durfte.

 

Vielen Dank, mir hat es Spaß gemacht. Ich finde es auch ganz cool, dass man bei einer solchen Gelegenheit auch einmal reflektieren kann, was wir eigentlich schon alles gemacht haben.

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