Im Design Thinking gilt das oberste Prinzip der „customer centricity“ als eines der Erfolgsgeheimnisse. „Step into the shoes of the customer!“ heißt die Devise.
Das ist aber oft leichter gesagt als getan. „Wir wissen, was unsere Kunden wollen“, höre ich allzu oft.
Aber wissen wir es wirklich? Haben wir sie schon mal gefragt? Was wissen wir über ihren Alltag, ihre Herausforderungen, Probleme, Wünsche und Sehnsüchte? Darüber, was sie nachts nicht schlafen lässt, was sie antreibt oder lähmt.
„Ach so ist das gemeint. Na ja, so genau wissen wir das nicht…“
Wie sollen wir das denn herausfinden?
Erstmal keine Panik. Wenn ich von Kundeninterviews im Design Thinking spreche, dann meine ich damit nicht eine Kundenbefragung mit mehreren tausend Kunden und Multiple-Choice-Fragebögen. Im Gegenteil, es geht um persönliche Gespräche mit einigen Kunden/Nutzern, Extrem-Nutzern und Nichtkunden/Kritikern.
Man könnte auch sagen, Klasse statt Masse. Natürlich ist es mit Aufwand verbunden. Die Chance auf echte Aha-Erlebnisse ist jedoch bei persönlichen Gesprächen extrem hoch, wenn man ein paar Dinge beachtet.
Und wozu das Ganze?
Ganz einfach. Innovation ist mit Risiko verbunden. Wenn wir unsere Kunden von Anfang an einbinden, senken wir das Risiko einer Produkt-/Serviceentwicklung, die völlig am Kunden vorbeigeht. Und wir erhöhen die Chance, uns vom Wettbewerb abzusetzen.
Damit uns das gelingt, habe ich für Euch ein paar Tipps zusammengestellt, wie solche Design Thinking Interviews gut vorbereitet und durchgeführt werden können.
Ein paar Tipps für explorative Interviews
Wer wird befragt?
Das kann sehr unterschiedlich sein. Im B2B-Bereich können es einige ausgewählte Kunden sein, die man persönlich kennt. Hier sollte man ruhig auch auf die Kunden zugehen, die „kritisch“ sind und Dinge hinterfragen. Bei der Auswahl der Kunden ist gesunder Menschenverstand der beste Ratgeber.
Im B2C-Bereich kann man auch Personas erstellen und danach die Kunden auswählen. Eine Persona ist eine fiktive Person, die so genau wie möglich beschrieben wird und die ein Kundensegment repräsentiert. Eine Vorlage für eine Persona findet Ihr hier. Darüber hinaus sollte man unbedingt Kritiker und Nichtnutzer identifizieren und befragen.
Wie viele Leute werden befragt?
Es genügen in der Regel 5 bis 10 Interviews pro Persona, um einen guten Eindruck zu gewinnen. Mehr Interviews führen nicht zwangsläufig zu mehr Erkenntnissen.
Wer befragt?
Die explorativen Interviews werden nach Möglichkeit von zwei Interviewern mit zwei unterschiedlichen Rollen geführt. Interviewer 1 spielt die Rolle des besten Freundes, stellt die Fragen, ist emphatisch und verständnisvoll. Interviewer 2 ist neutral und beobachtend, schreibt mit, ist aufmerksam und hakt z. B. bei Widersprüchen nach.
Was wird gefragt?
Es ist nicht notwendig, einen komplett durchstrukturierten Fragebogen vorzubereiten. Die vorbereiteten Fragen sind eher als Leitfaden zu verstehen. Das Interview soll eher einen Gesprächs-Charakter haben und dient nicht dazu, Fragen „abzuarbeiten“.
Ziel ist, Probleme der Kunden zu identifizieren, nicht Lösungen von ihnen geliefert zu bekommen. Dazu passt auch das Zitat von Henry Ford: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt, schnellere Pferde!“
Es gibt ein tolles Buch, was man sehr gut als Vorbereitung auf Kundeninterviews nutzen kann: Der Mom Test von Rob Fitzpatrick mit dem Titel „Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist - auch wenn Sie dabei jeder anlügt.“ (Werbelink)*
Generell gilt für Interviews: Es sollten offene Fragen gestellt werden. Geschlossene Fragen sind ungünstig, weil sie wenig Antwortmöglichkeiten lassen (ja/nein) und wir wenig über den Interviewpartner erfahren.
Hier ein paar Beispiele für offen Interview-Fragen
· Beschreiben Sie bitte, wie Sie das letzte Mal…
· Was hat Ihnen Probleme / Mühe bereitet bei…?
· Was war für Sie die größte Herausforderung / das größte Problem…?
· Was meinen Sie genau damit?
· Haben Sie ein konkretes Beispiel?
· Wann tritt das Problem auf, wann nicht?
· Wie könnte man das Problem noch verschlimmern?
· Wie haben Sie versucht, das Problem zu lösen?
· Was hat funktioniert und was nicht?
· Wie haben Sie das gemerkt?
· Warum haben Sie es so oder so gemacht…?
· Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
· Was haben Sie erwartet?
· Was macht Ihnen Freude…?
· Was gefällt Ihnen?
· Was gefällt Ihnen nicht?
· Was nervt Sie bei…?
· Erzählen Sie mir mehr darüber?
· Was vermissen Sie, bei…?
· Was ist Ihnen wichtig bei…?
· Was ist Ihnen nicht wichtig bei…?
· Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wäre das dann?
· Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann… (zusammenfassen der wichtigsten Punkte)
· Möchten sie noch etwas hinzufügen?
Ein paar generelle Tipps
- Vor Beginn, kurze Vorstellung zu Personen und Zweck des Interviews
- Lächeln
- Fragen so formulieren, dass die Befragten nicht in ihrer Antwort beeinflusst oder ihnen bereits Lösungen in den Mund gelegt werden („Sind Sie nicht auch der Meinung, dass…?“).
- Sinnvoll sind Fragen nach konkreten Ereignissen aus der Vergangenheit oder Gegenwart
- Offene Fragen, die es dem Interviewpartner ermöglichen, Geschichten zu erzählen
- 20% Sprechanteil, 80% zuhören
- Nicht mit der ersten Antwort zufriedengeben, in die Tiefe gehen und nachbohren, um das Problem hinter dem Problem zu finden. Wie Kinder, die mehrmals „warum“ fragen.
- Pausen machen und aushalten. Der Gesprächspartner braucht manchmal etwas Zeit, um über die Fragen nachzudenken.
Wann und wo wird befragt?
Diese Frage kann nicht generell beantwortet werden. Es hängt vom Thema und Umfeld der Befragten ab. Grundsätzlich sollte die Befragung nicht in einer unruhigen Umgebung erfolgen, bei dem der Befragte unter Zeitdruck steht. Im Firmenkunden-Geschäft sollte ein Termin vereinbart werden.
Wie werden die Interviews nachbereitet?
Falls möglich, setzen sich die Interviewer direkt nach dem Gespräch zusammen, diskutieren die Erkenntnisse und verfassen gemeinsam eine Notiz mit den wichtigsten Erkenntnissen. Dabei stehen interessante O-Töne (Zitate), Einsichten und evtl. auch Fotos im Vordergrund. Im Idealfall werden diese so gestaltet, dass sie bereits auf Post Its für die Visualisierung im Design-Thinking-Team-Workshop notiert werden.
Und wenn das interview nicht so gut klappt…
Explorative Interviews zu führen ist eine Übungssache. Das braucht ein wenig Erfahrung. Hier sollte man sich als Interviewer nicht zu kritisch sehen, denn es gilt: „Selbst das schlechteste Interview ist besser als gar kein Interview!“
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